
Digitalisierungsprojekte brauchen Zeit – auch die ePA für alle. Doch wie lief die Konzeption und Entwicklung der neuen ePA genau ab? Wir blicken zurück.
Der Startpunkt der ePA für alle lässt sich auf den November 2021 datieren. „Als der Koalitionsvertrag der damaligen Bundesregierung publik wurde, war dort eine ePA nach Opt-out-Prinzip vereinbart“, erinnert sich Lena Dimde, die als Product Ownerin ePA den gesamten Entwicklungsprozess der ePA für alle begleitet hat. Die damalige elektronische Patientenakte stagnierte in der Nutzung. Weder in den medizinischen Einrichtungen noch bei den Patientinnen und Patienten fand sie Anklang. Das Opt-in-Prinzip brachte die Schwierigkeit mit sich, dass Versicherte sich selbst aktiv um die Eröffnung der eigenen ePA und die Freigabe ihrer Daten kümmern mussten. Mit der Opt-out-Variante der neuen ePA sollte sich das ändern. „Die Akte soll in der Breite genutzt werden“, sagt Dimde. Dieser Wunsch sei auch in Gesprächen mit Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten immer wieder geäußert worden. Voraussetzung dafür war ein einfacher Zugang, wie er jetzt durch das Stecken der elektronischen Gesundheitskarte in Praxis, Krankenhaus und Apotheke ermöglicht wird. Die ePA für alle sollte durch berechtigtes medizinisches Personal ohne Zutun der Versicherten genutzt werden können. Das ist eines der zentralen Merkmale der ePA für alle, mit dem sie im Januar 2025 in die Pilotierung gegangen ist.
„Moderieren, vermitteln und nach konstruktiven, einenden Lösungen suchen.“
Lena Dimde und Charly Bunar über den Anspruch der gematik
Im Austausch
Im November 2022 wurde die gematik damit beauftragt, die ePA zu konzipieren und zu spezifizieren. „Einen Monat später hatten wir dann unseren Kick-off mit Gesellschaftern, Berufsverbänden und Fachgesellschaften“, erzählt Charly Bunar, der gemeinsam mit Dimde den Entwicklungsprozess der ePA für alle verantwortet hat. Mit Blick auf die TI und ihre Weiterentwicklung zur TI 2.0 musste das Team bewerten, was aus technischer Sicht wünschenswert ist bei der ePA für alle. „Aber natürlich brauchten wir mehr externen Input“, sagt Bunar. Dazu fanden ab Anfang 2023 Workshops mit Akteurinnen und Akteuren aus dem Gesundheitswesen statt. „Neben den Gesellschaftern, den Fachgesellschaften und den Berufsverbänden haben wir dann erstmals auch mit Heilberuflerinnen und Heilberuflern gesprochen“, so Bunar weiter. Diese haben eine fachliche Sicht mit in den Prozess gebracht. „Es war nicht immer leicht, gegensätzliche Anforderungen zu moderieren“, sagt Dimde. Dieser Austausch hat dafür gesorgt, dass alle ihren Blick erweitern und für die komplexen Fragestellungen rund um die ePA sensibilisieren konnten. „Wir waren gesprächsbereit und lösungsorientiert. Dadurch konnten wir Vertrauen aufbauen und alle Beteiligten mitnehmen“, sagt Bunar. Und damit habe man sich am Anspruch der gematik orientiert: „Moderieren, vermitteln und nach konstruktiven, einenden Lösungen suchen.“
Auf Grundlage des Gesetzes
Als Ergebnis aus den Workshops ist ein Fachkonzept entstanden, das die Basis für die heutige und künftige Ausgestaltung der ePA für alle ist. Neben der Arbeit der gematik waren aber auch Gesetzesänderungen notwendig, um die ePA möglich zu machen. „Da ist einmal das Digital-Gesetz, kurz DigiG, das zentral war“, sagt Dimde. Das DigiG ging Mitte Dezember 2023 durch den Bundestag – also etwa ein Jahr nach dem ePA-Kick-off der gematik. Es war wichtig, Gesetz, Fachkonzept und technische Grundlagen parallel aufeinander abzustimmen. „Diese ‚agile Gesetzgebung‘ zu leben, war nicht einfach“, sagt Bunar. Dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und die gematik diesen Weg gegangen sind, findet er trotzdem richtig: „Wenn wir wollen, dass die gematik direkt arbeiten kann und nicht erst auf ein verabschiedetes Gesetz warten muss, dann geht es nicht anders.“ Die Gesetze geben die Leitplanken vor – auch bei der ePA. „Die ePA kann nur das leisten, was das Gesetz hergibt“, sagt Bunar. Neue gesetzliche Spielräume können dann aber neue Funktionen ermöglichen.
Gemeinsame Lösungen finden
Natürlich musste das ePA-Team der gematik auch technische Herausforderungen lösen. „Ein omnipräsentes Thema war die Verschlüsselung“, sagt Bunar. Denn statt einer Datenablage wie bei der alten ePA ging es bei der ePA für alle um Nutzerfreundlichkeit und Verfügbarkeit. „Die technischen Mechanismen waren für die alte ePA richtig, aber für die Anforderungen an die ePA für alle nicht ganz passend“, sagt Bunar. Eine andere technische Herausforderung war die elektronische Medikationsliste. „Bei der Medikationsliste haben wir das erste Mal ernsthaft nativ mit FHIR-Daten in der ePA gearbeitet“, sagt Dimde. „Das erhöhte die Komplexität aufseiten der umsetzenden Industrie massiv und erforderte eine hohe technische Expertise“, so Dimde weiter. Um keine Systemhersteller in der kurzen Zeit zu überfordern, brauchte es verschiedene Möglichkeiten, wie die Medikationsliste abgerufen werden kann. Dieses Beispiel zeigt: Entscheidungen für die ePA mussten immer aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden, bevor sie wirklich Realität werden konnten.
Und die Liste dieser Beteiligten war laut Dimde lang: „Es waren zum Beispiel die Gesellschafter der gematik oder Berufsverbände wie der Hausärztinnen- und Hausärzteverband (HÄV), der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) und der Berufsverband Niedergelassener Kardiologen (BNK) dabei. Außerdem kamen Fachgesellschaften wie beispielsweise die AG Digitale Versorgungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) oder die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) dazu.“ Daneben ergänzten Industrieverbände wie der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg), der Verband Deutscher Dental-Software Unternehmen (VDDS) und der Bundesverband Deutscher Apothekensoftwarehäuser (ADAS) sowie die Systemhersteller selbst Liste der Beteiligten. Mit an Bord waren auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie das Referat beim damaligen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Auch deshalb konnte die ePA für alle auf den Weg gebracht werden. „Es war ein großer Erfolg, dass wir die Spezifikation dann im Einvernehmen mit BSI und BfDI veröffentlichen konnten“, sagt Dimde. Digitalisierung funktioniert also am besten im Schulterschluss.
Ende oder Anfang?
Was bleibt aus dem Entwicklungsprozess der ePA für alle hängen – neben dem Start der Akte? „Zuhören und reden – denn im Gespräch ließ sich dann vieles klären“, findet Dimde. Auch wenn sich nicht alle Bedenken auflösen lassen, hat sich das bewährt. Gleichzeitig bedeutet dieses Vorgehen auch, voneinander zu lernen. So war ein weiteres Ergebnis des ePA-Prozesses eine Vision für den digital gestützten Medikationsprozess. „Im Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten zum digital gestützten Medikationsprozess zeigt sich, dass wir ihren Alltag verstanden haben und es ihnen und den Patientinnen und Patienten wirklich hilft“, erzählt Bunar. Mit dem Prozess zur ePA für alle sind neue Partnerschaften entstanden, die auch in der Zukunft helfen werden. „Wir haben auch ganz deutlich gesehen, dass eigentlich alle ähnliche Ziele verfolgen“, sagt Bunar. Gefehlt hat es bisher am Dialog und an der Einigung zum Anfangen.

Der Weg der ePA für alle ist aber noch nicht beendet. „Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam besser werden“, sagt Dimde. Neue Funktionen sollen die ePA bereichern. Das funktioniert nur Schritt für Schritt. „Weil die ePA womöglich das größte IT-Projekt in Deutschland und Europa ist, hat die Weiterentwicklung nicht nur etwas mit der Technik, sondern auch mit Change-Management zu tun“, findet Dimde. Es braucht Zeiträume, in denen neue Funktionen eingeführt und genutzt werden können. Die Heilberuflerinnen und Heilberufler müssen sich an die neuen Möglichkeiten gewöhnen und dürfen nicht überfordert werden. Der Weg bis zur ePA für alle war bis hierhin ein langer. Der Start ist ein Meilenstein. Und die Reise geht weiter.
März 2025