Auch auf EU-Ebene wird Gesundheitsversorgung digitalisiert. Beatrice Kluge, Head of EU & Innovation Partnerships bei der gematik, erklärt im Interview, was auf europäischer Ebene aktuell passiert und was der „European Health Data Space“ genau ist.

Was ist der „European Health Data Space” (EHDS) und welches Ziel verfolgt er?

Beatrice Kluge: Der EHDS räumt allen EU-Bürgerinnen und -Bürgern Rechte im Umgang mit ihren Gesundheitsdaten ein. Sie erhalten grenzüberschreitenden Zugang zu ihren medizinischen Informationen. Das erleichtert die Gesundheitsversorgung innerhalb der EU. Außerdem ermöglicht der EHDS, sofern die Bürgerin oder der Bürger nicht widerspricht, dass diese Daten für die Forschung, für Innovation und für politische Entscheidungsprozesse genutzt werden. 

Welche Daten werden im Rahmen des EHDS erfasst und zugänglich gemacht und warum ist das wichtig?

Im Primärbereich, also in der Versorgung, umfasst der Europäische Gesundheitsraum zunächst sogenannte Patientenkurzakten mit allen notfallrelevanten Kerndaten. Ergänzt werden sie durch E-Rezepte, Dispensierdaten, Labor­befunde sowie Entlassbriefe, insbesondere den Krankenhausentlassbrief. Auch Bilddaten und deren Befunde sind Teil dieser ersten Datengruppe. Ein Beispiel: Ein deutscher Patient in Spanien benötigt medizinische Hilfe. Die behandelnde Ärztin kann über das System eine Anfrage stellen und, sofern sie dazu berechtigt ist, auf die Patientenkurzakte zugreifen. Dasselbe gilt für eine Person aus Portugal, die in Deutschland ärztliche Versorgung benötigt. Diese Vernetzung ist ein zentrales Ziel des EHDS.

Dann gibt es noch den Sekundärbereich, also die Forschung. Dort ist das potenzielle Datenspektrum zwar breiter, aber es wird nicht sofort in vollem Umfang verfügbar sein oder genutzt werden können. Zu den forschungsrelevanten Daten gehören beispielsweise Registerdaten, wie sie in einem Krebsregister erfasst werden. Perspektivisch könnten auch weitere medizinische und biowissenschaftliche Daten integriert werden. Das ist wichtig, weil medizinische Forschung oft auf Daten aus den USA basiert, die nicht repräsentativ für Europa sind. Und besonders kleinere EU-Länder finden oft auch nicht genügend Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer, insbesondere wenn es um seltene Erkrankungen geht. Der EHDS stärkt also die Forschung, beschleunigt Innovationen und verbessert die Behandlung seltener Erkrankungen.

Lassen sich nationale und europäische Systeme einfach so miteinander verbinden?

Jedes EU-Mitgliedsland hat ein eigenes Gesundheitssystem und entscheidet selbst über seine digitale Infrastruktur. Der EHDS verpflichtet die EU-Mitgliedsländer, grenzüberschreitenden Austausch von Gesundheitsdaten zu ermöglichen. Damit das funktioniert, braucht die deutsche TI ein technisches Gateway, um an europäische Komponenten angebunden werden zu können und diese Dienste anbieten zu können. Die Konvergenz von europäischer wie nationaler Roadmap ist eine wesentliche Voraussetzung dafür.

Welche rechtlichen Anpassungen sind in Deutschland erforderlich, damit der EHDS wirksam umgesetzt werden kann?

Die Verordnung ist inzwischen in Kraft, doch bevor die Regelungen tatsächlich wirksam werden, gilt eine zweijährige Übergangsfrist. In vielen Fällen wird es außerdem weitere Jahre dauern, bis die vorhin genannten Mindestkategorien an Daten verpflichtend eingeführt sind.

Welche Rolle spielt die ePA für alle im Kontext des EHDS?

Die ePA spielt im EHDS eine zentrale Rolle. Der Fokus liegt darauf, bestehende Anwendungen zu stärken, anstatt neue Einzellösungen zu entwickeln. Die Europäische Kommission verfolgt dabei einen Ansatz, der in vielen Aspekten der deutschen ePA ähnelt. Eine wesentliche Aufgabe für Deutschland wird es sein, die bestehende digitale Infrastruktur und ihre Anwendungen so weiterzuentwickeln, dass sie mit dem EHDS kompatibel ist. 

Wie stellt der EHDS eine sichere Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten sicher?

Der EHDS ist ausschließlich für das Gesundheitswesen konzipiert. Er orientiert sich vollständig an der Datenschutz-Grundverordnung, der DSGVO. National wird die DSGVO allerdings oft strenger interpretiert. Das ist ein Punkt, den man berücksichtigen sollte. Zusätzlich werden weitere EU-Vorgaben mit einbezogen, unter anderem die NIS-Richtlinie für die Sicherheit kritischer Infrastrukturen und die eIDAS-­Verordnung, die mittlerweile als EUDI-Wallet-Verordnung weiterentwickelt wurde. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen sind verbindlich und müssen entsprechend umgesetzt werden. Ähnlich wie die ePA in Deutschland basiert der EHDS auf Freiwilligkeit. Patientinnen und Patienten können sich bewusst gegen die Nutzung entscheiden. 

Auch wenn ich beispielsweise in Spanien behandelt werden muss, muss ich aktiv den Zugriff auf meine Daten bestätigen. Die Ärztin oder der Arzt kann im Fall meiner Zustimmung die Daten einsehen, aber nicht herunterladen. Das Verfahren stellt sicher, dass nur im Behandlungskontext auf Daten zugegriffen werden kann.

Welche Schritte sind noch erforderlich, um die letzten Herausforderungen für eine reibungslose Umsetzung des EHDS in Deutschland zu bewältigen?

Zunächst muss der EHDS verständlich erklärt werden – sowohl der Öffentlichkeit als auch den Fachkreisen. Denn er betrifft alle EU-Bürgerinnen und -Bürger. Gleichzeitig ist auch eine gezielte Fachkommunikation für verschiedene Gruppen notwendig: Heilberuflerinnen und Heilberufler, Forschende und Softwarehersteller benötigen jeweils spezifische Informationen zum EHDS. Außerdem müssen wir auch die europäische Umsetzung mitgestalten. Hier gibt es Spielraum, um Anpassungen vorzunehmen, die besser auf das deutsche Gesundheitssystem zugeschnitten sind.

Schließlich folgen die nationale Umsetzung, beispielsweise die Integration des EHDS in die ePA-Roadmap, und die Umsetzung durch die Industrie. Dieser Prozess erfordert einen stetigen Dialog mit den Stakeholdern. Denn für eine erfolgreiche Umsetzung müssen wir alle Beteiligten mitnehmen.

März 2025